Wenn ich möchte, dass meine Jungs viel Gemüse essen, muss ich tief in die Trickkiste greifen. Heute mehr denn je. Im Alter von 16 und 18 Jahren finden sie meine gesunde (und oft pflanzenbasierte) Küche ungefähr so unsexy wie die Märchen der Brüder Grimm. Fleisch muss auf den Tisch. Und zwar täglich.
Denn Fleisch steht für Männlichkeit, Macht, Stärke und Potenz. Pflanzliche Kost hingegen, sagt die Soziologin und Buchautorin Monika Setzwein, assoziiert das männliche Hirn mit „statusniederen“ Gruppen wie Frauen, Kindern, Alten oder Kranken. Richtig gelesen. Wer gerne viel Gemüse isst, gilt in der Gesellschaft aus männlicher Perspektive als Schwächling – nicht mal Popeyes beachtliche Spinatmuckis vermochten dagegen was zu auszurichten.
Seinen Ursprung hat dies scheinbar in unserer genetischen und kulturellen Prägung. Unterschiede im Ernährungsverhalten zwischen Frau und Mann sind nicht bloss ein Klischee oder reiner Zufall, sondern aus der Historie des Menschen heraus während vieler Tausend Jahre empirisch identifizierbar – Herkules und Ötzi lassen grüssen.
Auch letzterer liebte Fleisch. So sehr, dass er es selbst noch ass, wenn es von Maden zerfressen war. Seine letzten Mahlzeiten vor dem Tod waren Steinbock und Hirsch, bestätigten Forscher. Und auch, dass Ötzi Gallensteine hatte, und aufgrund einer fortgeschrittenen Arterienverkalkung wahrscheinlich ziemlich bald an einem Herzinfarkt oder Hirnschlag gestorben wäre – hätten ihn seine Angreifer nicht vorher mit Pfeil und Bogen zur Strecke gebracht.
Steinzeitmenschen mögen also kleinere Staturen und grössere Kiefer gehabt haben, scheinen jedoch in vielerlei Hinsicht mit ähnlichen gesundheitlichen Problemen konfrontiert gewesen sein wie wir. Übermässiger Fleischkonsum verstopft auch heute noch die Gefässe – und wenn er nicht direkt killt, dann immer häufiger indirekt: Fleisch ist inzwischen ein immer kontroverser diskutiertes, politisches Thema, weil erwiesenermassen längst auch einer der grössten Klimasünder.
So kamen Joseph Poore von der Oxford University und Thomas Nemecek, Stellvertretender Forschungsgruppenleiter Ökobilanzen beim Forschungsinstitut Agroscope in Zürich nach der Auswertung von mehr als 500 Studien und 38’700 Datensammlungen zur Ökobilanz der weltweiten Lebensmittelproduktion unlängst zum Schluss: würde die gesamte Menschheit ab sofort komplett auf den Konsum tierischer Produkte verzichten, könnte die globale Treibhausgas-Emission auf einen Schlag um 23 Prozent, und der weltweite Wasserkonsum gar um 25 Prozent reduziert werden.
Schweizer Bauern verabreichen ihren Milchkühen ausserdem mehr Antibiotika als jede andere Nation in Europa. Noch nie fand man in Gewässern, auf Rohkost und Salat so viele multiresistente Keime wie heute – ein fatales Gesundheitsrisiko für die gesamte Bevölkerung. Da der Fleischkonsum bisher jedoch weder limitiert noch mit Strafzöllen belegt wurde, liegt eine Mitverantwortung bei jedem einzelnen von uns.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir mit der Entscheidung, was tagtäglich auf unseren Tellern landet, einen entscheidenden Beitrag zum eigenen und allgemeinen Wohlbefinden leisten könn(t)en oder gar dringend müssten. Immerhin verursacht ein Kilogramm Schweinefleisch in der Herstellung gleich viel CO2 wie 80 Kilogramm Kartoffeln. Und dennoch konsumieren wir im Schnitt mehr als das Doppelte der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Menge von 300-600 Gramm Fleisch pro Woche.
„Warum?“, fragte sich auch der erfolgsgekrönte Schriftsteller Jonathan Safran Foer. Als er Vater wurde war für ihn – Achtung Männer! – der Zeitpunkt gekommen, sich zu fragen, ob wir Traditionen tatsächlich so verpflichtet sind, dass wir sie nicht ändern können; und ob wir auch in Zukunft (so viel) Fleisch essen werden, bloss, weil wir es schon immer getan haben? Sein Buch Tiere essen ist ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, unsere Essgewohnheiten kritisch zu überdenken.
Meine Jungs haben es bisher nicht gelesen. Sie wissen zwar um die Bedrohlichkeit von Antibiotikaresistenzen, mutierenden Viren, die Zustände in der Massentierhaltung, die Zerstörung vieler Ökosysteme, die Erderwärmung und Hungersnöte aufgrund von Dürren, haben aber die Brücke zur eigenen Realität und Selbstverantwortlichkeit so noch nicht geschlagen. Wie bei Safran Foer, so hoffe ich, wird auch bei ihnen eines Tages ein Auslöser kommen, der sie dazu veranlassen wird, zu handeln, anstatt zu verdrängen.
Bis dahin diskutieren wir weiter, ob’s anstelle des Holzfällersteaks nicht auch der Lady’s-Cut täte. Ob pflanzliches Protein wirklich nur für Veganerinnen sexy ist, und wie man Gemüse schmackhafter gestalten kann – zum Beispiel mit Salpicão. Bei meinen Jungs ist dieser brasilianische Gemüsesalat mit Bestnote durch den TÜV gekommen.
Hätte ich verkündet: Heute abends gibt’s einen Regenbogen voller gesundem Gemüse, hätten sie verächtlich die Nase gerümpft. Mit demselben Gericht, betitelt als „Gemüsesalat mit Pulled Chicken“ lag ich super im Rennen. Denn Pulled Chicked ist wie Pulled Pork oder Pulled Beef und derzeit einfach angesagt – gerade beim männlichen Geschlecht. Kombiniert ist es ein Win-win. Probier’s doch einfach selber mal aus!
Es gibt zwei unterschiedliche Varianten, Salpicão zuzubereiten. Eine schnellere, einfachere, bei der man das benötigte Gemüse tiefgefroren kauft, nur noch kurz blanchiert und dann mit der Sauce und dem Huhn vermischt. Oder eine aus gartenfrischem Gemüse. Die gibt eindeutig mehr zu tun, belohnt dafür aber mit unvergleichlich mehr Biss, Geschmack und auch mehr Nährstoffen. Und wenn Du gleich eine grosszügige Menge davon zubereitest, kannst Du die Resten tags darauf zwischen ein Brötchen klemmen und als Lunch geniessen.
Viel Spass beim Ausprobieren und guten Appetit!
Rezept Salpicão: brasilianischer Gemüsesalat mit Pulled Chicken (für 4 Personen)
- 2-3 Pouletbrüstli von glücklichen Hühnern, ohne Haut
- 1 saftiger Apfel, entkernt und in kleine, 0.5 cm grosse Würfelchen geschnitten, sofort mit etwas Limettensaft mariniert, damit die Würfel nicht braun werden
- 1 rote Paprika (Peperoni), entkernt (evtl. enthäutet) und in kleine, 0.5 cm grosse Würfelchen geschnitten
- 2 Karotten, geschält und in kleine, 0.5 cm grosse Würfelchen geschnitten
- eine grosse Handvoll frische oder tiefgekühlte Erbsen
- 1 Stange Mais (Körner) oder eine Handvoll Mais aus der Dose (ca. 150 g)
- eine Handvoll frische grüne oder tiefgekühlte Bohnen, in ca. 1cm lange Stücke geschnitten
- ca. 200 g schmackhafte, festkochende Kartoffeln, geschält und in kleine, 0.5 cm grosse Würfelchen geschnitten
- 1 grosse süsse Zwiebel (oder 2-3 Frühlingszwiebeln), gehackt
- Saft von 2-3 Limetten
- 1/2 Bund glatte Petersilie, gehackt
- 100g Mayonnaise oder Vegenaise
- 1l kräftige Hühnerbrühe oder Gemüsebouillon
- 5-6 EL hochwertiges Olivenöl
- Salz
- Pfeffer
Alles Gemüse putzen, in die gewünschte Form schneiden und bereit stellen.
Für das Pulled Chicken in einem passenden Topf die Hühnerbrühe aufkochen. Die Pouletbrüstli ins kochende Wasser geben, die Hitze dann aber sofort reduzieren, so dass sie ca. 15 Minuten in siedendem Wasser ziehen können, bis das Fleisch weich und durchgegart ist. Vor dem Abschütten ein bisschen Bouillon abschöpfen und zur Seite stellen. Das Fleisch gut abtropfen und in einem tiefen Teller mit Alufolie bedeckt ebenfalls zur Seite stellen.
Einen zweiten Topf mit Salzwasser aufkochen. Die gerüsteten Karotten, Erbsen, Paprika, Mais und Kartoffeln bissfest (also nicht allzu weich) kochen, anschliessend abtropfen lassen. Wenn Du tiefgekühltes Gemüse verwendest, dauert dieser Vorgang lediglich ein paar Minuten, bei frischem Gemüse etwas länger. Um Zeit zu sparen, kannst Du das Gemüse parallel zum Pulled Chicken kochen.
Die gehackten Zwiebeln in einer grossen Salatschüssel mit ca 3-4 EL (50-60 ml) der zur Seite gestellten Bouillon übergiessen – am besten kochst Du die Flüssigkeit dazu nochmal kurz auf, dann sind die rohen Zwiebeln hinterher beim Genuss etwas weniger aggressiv.
Olivenöl, Mayonnaise, 1-2 EL Limettensaft dazugeben, gut umrühren. Salzen, pfeffern. Abschmecken. Allenfalls nachwürzen, resp je nach Bedarf und Geschmack mehr Ölivenöl, Mayo oder Limettensaft hinzugeben. Anschliessend die Apfelstückchen und das Gemüse gut mit der Sauce vermengen.
Die Pouletbrüstchen mit zwei Gabeln auf einem Brett auseinanderzupfen. Zum Gemüse geben. Noch einmal gut umrühren. Zum Schluss die gehackte Petersilie über den Salat streuen und servieren.
Tipp: Falls vom Salat was übrig geblieben ist, die Resten bitte so schnell wie möglich in einem luftdicht verschlossenen Gefäss zurück in den Kühlschrank stellen. So bleiben sie für 1-2 weitere Tage geniessbar.